Was ist an der Spiritualität und Pädagogik Don Boscos „nachhaltig“?

Veröffentlicht am: 30. Oktober 2021

Zunächst mag diese Frage vielen erst einmal befremdlich erscheinen. Nachhaltigkeit bzw. nachhaltige Entwicklung als Thema des späten 20. und 21. Jahrhunderts in Verbindung mit Don Bosco? Ist das nicht aus der Zeit gegriffen? Tatsächlich ist der historische Ursprung der Nachhaltigkeit bereits im 18. Jahrhundert als Reaktion auf die Holzverknappung in Europa zu finden. Der sächsische Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz sprach im Zusammenhang mit der Forstwirtschaft von einer notwendigen „continuierliche[n] beständige[n] und nachhaltende[n] Nutzung“ (von Carlowitz 1713) und sprach sich dafür aus, Ressourcen für die Zukunft zu bewahren. Hierbei sei darauf hingewiesen, dass er den Aspekt aus volkswirtschaftlicher Sicht betrachtete. Auch in Frankreich und England war die Sorge um Ressourcen bereits Thema. Die Geburt der Nachhaltigkeit erfolgte in ihrem Ursprung als Reaktion auf Knappheit und Krise (Vgl. Molitor & Ibisch et al 2018, S.  36/37). Es ist zu Recht davon auszugehen, dass der Priester Giovanni Don Bosco mit dem ursprünglichen Verständnis von Nachhaltigkeit nicht vertraut war.

Doch was verstehen wir heute unter einer nachhaltigen Entwicklung?

Die UN-Kommission für Umwelt und Entwicklung sprach in ihrem Abschlussbericht „Unsere gemeinsame Zukunft“ von 1987, dem sogenannten Brundtland-Bericht, von einer „stabilen“ bzw. „nachhaltigen“ Entwicklung, wenn sie „die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass zukünftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können“ (Molitor & Ibisch et al 2018, S.  43). Im Nachhaltigkeitsdiskurs spricht man von einer intergenerativen Gerechtigkeit, indem man die Bedürfnisse sowohl der gegenwärtigen als auch der zukünftigen Generationen berücksichtigt.

Im September 2015 – rund zweihundert Jahre nach der Geburt Don Boscos - verabschiedeten die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen die Agenda 2030 und die damit verbundenen 17 Nachhaltigkeitsentwicklungsziele (Englisch: Sustainable Development Goals, kurz: SDGs) und 169 Unterziele. Die Agenda mit dem Titel „Transformation unserer Welt“ ist als Grundstein für die nachhaltige Entwicklung überall auf der Welt zu verstehen. Diese verknüpft das Ziel, Armut auf der Welt zu bekämpfen mit umweltpolitischen Zielen. Anstoß zu den SDGs gab 2012 die UN-Konferenz zur nachhaltigen Entwicklung in Rio de Janeiro, die zur Formulierung gemeinsamer Ziele aufgerufen hatte – mit dem Vorschlag, diese in einer globalen Entwicklungsagenda einzubinden.

Die Präambel der Agenda verdeutlicht folgende fünf übergeordnete Ziele (5 P´s): 

  • Wohlergehen aller Menschen („People“)
  • Schutz der Erdökosysteme („Planet“)
  • Wohlstand und Fortschritt in Harmonie mit der Natur („Prosperity“)
  • Sicherung des Friedens („Peace“) und
  • eine gestärkte internationale Zusammenarbeit („Partnership“).

Die Agenda mit ihren Zielen stellt einen Aufruf zum Handeln – sowohl für die Industrieländer wie auch für die Entwicklungsländer – dar. Dahinter steht die Erkenntnis, dass diese Ziele Hand in Hand gehen müssen, dass die Verbesserung von Gesundheit und Bildung, der Kampf gegen Ungleichheit einhergehen mit der Bekämpfung des Klimawandels und dem Schutz der Wälder und Ozeane.

Was hat das mit Don Bosco zu tun? Ein Blick auf die einzelnen Nachhaltigkeitsziele (siehe Grafik 1) helfen dabei  weiter: Das Ziel 4 „Chancengleichheit und hochwertige Bildung“ und das Ziel 10 „weniger Ungleichheiten“ sind durchaus Ziele, die wir mit dem pädagogischen Anliegen von Don Bosco in Verbindung bringen. Don Bosco hat sich dafür eingesetzt, den jungen Menschen auf den Straßen von Turin eine Zukunft zu schenken und hat sie auf ihrem Weg begleitet. 

Ziele für eine nachhaltige Entwicklung

Grafik: Die 17 Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030; Aus: Downloads - Ziele für Nachhaltige Entwicklung - Agenda 2030 der UN (17ziele.de)

Don Bosco hat sich mit den Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen auseinander gesetzt und sich damit auch für die zuvor angesprochene intergenerative Gerechtigkeit eingesetzt. Dies zahlt auch in die Nachhaltigkeitsziele ein, die Armut zu bekämpfen (Ziel 1) und Frieden zu fördern (Ziel 16).

Ob Don Bosco in sein pädagogisches Ziel des „guten Staatsbürgers“ heute wohl auch eine Sensibilisierung junger Menschen für die Belange von Mensch und Umwelt in einem globalen Zusammenhang sowie die Befähigung zu reflektiertem und verantwortlichem Handeln nicht nur unter moralischen und sozialen, sondern auch unter ökologischen Kriterien miteinschließen würde? Die Herausforderung – und Don Bosco reagierte achtsam auf die von ihm erkannte auch gesellschaftliche Herausforderung seiner Zeit – stellte sich ihm in dieser Dringlichkeit wie uns heute sicher nicht. Sicher ist aber, dass der – fast kindlich-naiv anmutende Glaube – an Gott den Schöpfer aller Dinge und Herrn über Leben und Tod, dessen Willen Don Bosco jeden Schritt seines Lebens zuschrieb und dem es sich in vorbehaltlosem Vertrauen zu überlassen galt, zu den Grundlagen der religiösen Unterweisung der jungen Menschen gehörte: „In dieser ersten Katechismusstunde brachte ich ihm bei, wie man das Kreuzzeichen macht; ebenso, daß Gott der Schöpfer  ist und das Ziel, für das er uns geschaffen hat.“ (Erinnerungen an das Oratorium des Hl. Franz von Sales, S. 141/142)

Alles ist miteinander verbunden! 

Im Nachhaltigkeitsdiskurs spricht man von dem integrativen Aspekt der  Nachhaltigkeit: Die ökonomischen, sozialen und ökologischen Entwicklungen unserer Zeit gehen Hand in Hand und beeinflussen sich gegenseitig. Die nachfolgende Grafik verdeutlicht diesen Aspekt sehr gut: Sofern wir nicht darauf achten, dass es unserem Ökosystem gut geht, welches das Wohlergehen und das Überleben der Weltbevölkerung sichert, wird es der Ökonomie schlecht ergehen und somit die Bedürfnisse der Menschen nicht mehr erfüllen. Soziales Ungleichgewicht und Spannungen wären somit die Folge. 

Don Bosco hatte einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und wollte für die jungen Menschen eine Zukunft. Sein Wirken ist auf der sozialen Dimension zu verorten. Er war ein Mann seiner Zeit und hat denjenigen in der Gesellschaft eine Stimme gegeben, die nicht gehört wurden. Don Bosco hat es verstanden Partnerschaften zu schließen, Menschen zu begeistern und Bewegungen zu gründen, die seine Überzeugungen teilen und ihn in seinem Ansinnen unterstützen, für bedürftige junge Menschen da zu sein. Die Don Bosco Familie mit den verschiedenen Vereinigungen wirkt noch heute in seinem Geiste.

Mit Blick auf die Nachhaltigkeitsziele der UN wird deutlich, dass Don Bosco durchaus im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung gehandelt hat, auch wenn selbst der Terminus Nachhaltigkeit in seiner heutigen Bedeutung damals noch nicht bestand.

Von Melanie Spranger SMDB & Monika Glaser SMDB

 

Literatur: 

Bosco, J. (2001): Erinnerungen an das Oratorium des hl. Franz von Sales von 1815 bis 1855, München.

Molitor, H. & Ibisch, P. L. (2018): Nachhaltigkeit als Reaktion. Was bisher geschah; In: Ibisch, P. L. et al (2018):
Der Mensch im globalen Ökosystem. Eine Einführung in die nachhaltige Entwicklung, München.