Papst Franziskus "Erziehen mit Anspruch und Leidenschaft"
Bergoglio, Jorge Mario / Papst Franziskus:
Erziehen mit Anspruch und Leidenschaft
Die Herausforderungen christlicher Pädagogik
gebunden mit Leseband; 188 Seiten
€ 18,99 (D) / sFr 27.50
ISBN 978-3-451-33539-6
Verlag Herder
Alle in dem Sammelband zusammengetragenen Hirtenworte Jorge Maria Bergoglios an die Pädagogen zeichnen sich durch einen klaren Blick auf die heutige Wirklichkeit und durch deutliche Worte aus, die den Geist biblischer Prophetie atmen. Etwa wenn er den heutigen Menschen als „postmodernen Schiffbrüchigen“ bezeichnet (S. 34) oder wenn er von Traditionsbruch, sozialer, existentieller und spiritueller Entwurzelung und von Verlust von Gewissheiten (S. 95-106) sowie von einer Kultur der „Verwaisung“ spricht. Aufhorchen lässt auch, wenn er nicht wenigen Erziehungseinrichtungen vorwirft, dass sie „keine Menschen, sondern Wölfe“ heranbilden, wenn sie ihren Schülern beibringen, „wie sie auf Kosten der anderen konkurrenzfähig und erfolgreich sind“ (S. 145).
Demgegenüber sieht Bergoglio die Bildungseinrichtungen christlicher Prägung vor einer doppelten Aufgabe: Er lädt dazu ein, „aus unseren Schulen ein ‚Haus‘, ein ‚Zuhause‘ zu machen, wo Frauen und Männer, Mädchen und Jungen lernen können, ihre Erfahrungen zu verknüpfen und im Boden ihrer persönlichen und kollektiven Geschichte Wurzeln zu schlagen; und wo sie außerdem die Werkzeuge und Hilfsmittel finden, die es ihnen ermöglichen, ihre Intelligenz, ihren Willen und alle ihre Fähigkeiten zu entfalten und so das menschliche Format, zu dem sie berufen sind, voll und ganz auszufüllen“ (S. 116). Die Pädagogen sieht Bergoglio als „Zeugen des auferstandenen Jesus“ (S. 31f), als „Zeugen der Wahrheit“ (S. 177-185) und als „Boten der Hoffnung“ (S. 63), die sich dessen bewusst sein sollen, dass der Herr selbst ihnen diese Aufgabe anvertraut hat (S. 42). Wie Väter und Mütter sollen sie an die Fähigkeiten der ihnen anvertrauten jungen Menschen glauben und ihnen bei deren Entfaltung beistehen (ebd.). Die wichtigste Tugend, um die sie sich bemühen und um die sie bitten müssen, ist die Weisheit (S. 119f). Immer wieder bringt Kardinal Bergoglio überraschende Einsichten zur Sprache, die seiner eigenen Erfahrung entspringen, so z. B. wenn er die „Unruhe“ vieler junger Menschen, die heute allenthalben beklagt wird, nicht nur als ein disziplinarisches Thema ansieht, sondern – positiv gewendet – hinter dem äußerlich wahrnehmbaren Phänomen ein tieferes Suchen zu erkennen vermag (S. 167-172).
Der Sammelband stellt keine erziehungswissenschaftlichen Studien vor. Was der damalige Kardinal Bergoglio hier vorgelegt hat, sind Betrachtungen, die sich in erster Linie an Lehrer und über sie hinaus an pädagogische Fachleute richten. Die sechs Botschaften sind eine sehr gute Möglichkeit, die Weltsicht, das Denken unseres heutigen Papstes sowie seinen Zugang zu den Herausforderungen, die sich der Kirche und den einzelnen Christen gegenwärtig stellen, kennen zu lernen. Sie bieten auch bei uns den Pädagogen und den in der kirchlichen Jugendarbeit Tätigen reichhaltige Impulse zur Selbstreflexion und zum Austausch in den Erziehungsgemeinschaften. Sie können helfen, „damit das Leben des Auferstandenen jedes Herz und jede Schule erneuert und uns befähigt, Ewiges zu bewahren und Veraltetes aufzugeben“ (S. 61) – einAnspruch, der letztlich für alle Erziehungseinrichtungen gilt, die sich christlich nennen, und der die ganzeLeidenschaftderer braucht, die in ihnen wirken.
P. Reinhard Gesing SDB